‚Empathie‘, ‚Ignoranz‘ und ‚Migrantisch situiertes Wissen‘

Vortrag von: Ayşe Güleç und Johanna Schaffer

Zeit: 7. Oktober 2016, 18.00 bis 19.30

Ort: Institut für das Künstlerische Lehramt IKL, Hörsaal 3.06, Karl-Schweighofer Gasse 3, 1060 Wien 

Immer noch ist die Serie an Morden und Anschlägen, die der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) zwischen 1999 und 2011 beging, nicht aufgeklärt. Weder das Gerichtsverfahren in München noch die zahlreichen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse haben das Netzwerk des NSU sowie die Beteiligung des Verfassungsschutzes und anderer staatlicher Akteure daran vollständig offengelegt. Als NSU-Komplex bezeichnen wir daher den Verbund aus neonazistischen Gewalttaten jener Gruppierung von Menschen, die sich NSU nannten, und institutionalisiertem Rassismus. Der NSU-Komplex äußert sich in Opfer-Täter-Umkehr, in rassistischer Medienberichterstattung, in den Verbindungen des deutschen Geheimdienstes mit der rechtsextremen Szene, im Faktum der Nazis, die Mitarbeiter beim Verfassungsschutz sind, in versuchten Vertuschungen, im Verschwinden von Beweismitteln, in unerklärten Todesfällen von aussagewilligen Zeug_innen und in der andauernden Behinderung der Aufklärung der Hintergründe der Gewalttaten des NSU.

Was können wir denken und verstehen, wenn wir ‚Empathie’ und ‚Ignoranz’ als Analysekategorien verwenden, um über solidarische und antirassistische Bedeutungsproduktion nachzudenken? Zentral für unser gemeinsames Nachdenken ist die Kategorie des ‚migrantisch situierten Wissens‘, um von den Praktiken und Strategien der Angehörigen der Opfer und der Überlebenden der Gewalttaten des NSU-Komplexes zu lernen, wie struktureller Rassismus als das Unsagbar-Gemachte sich dennoch thematisieren und darstellen lässt. Denn staatliche, mediale und gesellschaftliche Instanzen wirken als Bestandteile des NSU-Komplexes zusammen, um mit enormer Kraft/Macht Rassismus als gesellschaftlichen Segregations- und Abwertungsmechanismus auszuagieren und anderseits dessen Existenz zu verleugnen. Dennoch erfinden Menschen als einzelne und in Zusammenhängen kontinuierlich Weisen der Bedeutungsproduktion, die es möglich machen, sich politisch, gesellschaftlich und emotional anders zu orientieren. Dies ist ein Plädoyer dafür, sich gegen Segregationen und Aufteilungen immer wieder zusammen zu tun.

Ayşe Güleç ist Sozialpädagogin und politische Kulturarbeiterin. Johanna Schaffer ist Hochschullehrerin für die Theorie und Praxis der visuellen Kommunikation an der Kunsthochschule Kassel. Beide sind im Vorbereitungskontext für das “Tribunal: NSU-Komplex auflösen” aktiv. Das Tribunal wird von 17. – 21.5. in Köln-Mülheim stattfinden.

Organisiert von: Elke Krasny, Elke Gaugele und Martin Beck, Institutsleitung des Instituts für das Künstlerische Lehramt und Ruth Sonderegger, Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften

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Foto: Bündnis gegen Rassismus, Berlin