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pinkTheorie und Praxis der Visuellen Kommunikation

Die ‘Theorie & Praxis’ ist als Arbeitsbereich organisiert, und nicht als ‘Klasse’. Das bedeutet, dass die Lehrveranstaltungen und die Projekte, die hier angeboten werden, von allen Studierenden der KhK / der Uni Kassel besucht werden können. Genauere Informationen zu Anmeldungen und Wünschen der Lehrenden in Bezug auf Verbindlichkeit finden sich bei den Beschreibungen der LVs und der Projekte selbst.

Den Arbeitsbereich Theorie & Praxis der Visuellen Kommunikation definieren wir als Plattform, auf der Fragen zwischen theoretischer und gestalterischer bzw ästhetisch-materieller Praxis verhandelt werden. Ein derartiges transdisziplinäres Projekt beginnt dort, wo die Grenzen zwischen ‚Theorie und Praxis’ nutzbar gemacht – und untergraben werden.

Es gilt also, Unterschiede zu bezweifeln und ebenso, sie zu betonen, und all das, um die Studierenden der Visuellen Kommunikation und der Kunsthochschule Kassel als kulturell Produzierende, als kulturelle Autor*innen zu unterstützen darin, zu experimentieren und zu forschen, und dies transdisziplinär zwischen Texten und Visualitäten/ästhetischen Materialitäten zu tun; sie aufzufordern, sich sowohl für den materiell/physisch/körperlich/räumlichen wie auch den kulturellen Kontext ihrer Projekte zu interessieren; und so anspruchsvolle Ästhetiken und Analytiken zu entwickeln.

Für den Raum zwischen Theorie & Praxis der visuellen Kommunikaton bedeutet dies, das Experimentelle (Offene!) zu betonen, Lernen und Verlernen zu begünstigen, aufmerksam zu sein dafür, was diese Materialität kann und jene dafür nicht, was verloren geht mit der Wahl dieses Werkzeugs und gewonnen mit der eines anderen. Überhaupt: das Forschende zu begünstigen, die Neugier. Es heißt auch, Schreiben und Textproduktion zu unterrichten, generell die diskursiven Fähigkeiten der Studierenden zu fördern, und sie als kulturell Produzierende, als Autor*innen in ihrem Eigensinn ebenso wie in ihrer Fähigkeit zu stärken, nicht nur kollaborativ sondern auch kollektiv zu arbeiten.

Grundlegender Bestandteil des Arbeitsbereichs der Theorie und Praxis der Visuellen Kommunikation ist die Vermittlung analytischer und kritischer Werkzeuge, wie sie zeitgenössische theoretische Texte und ebenso analytisch verfahrende visuelle Produktionen bereit halten. Dieses durch Bilder und Texte entstehende analytische, kritische Feld entsteht an der Schnittstelle verschiedener Denktraditionen: die der zeitgenössischen ästhetischen Theorien, der Hegemonietheorien, marxistischer und kapitalismuskritischer Arbeiten, der postkolonial, feministisch, queer, Schwarz, transkulturell und antirassistisch informierten Bilder und Bildkritiken, der psychoanalytischen Theorien, der Filmtheorien, der Cultural Studies, der Visuellen Kultur.

Was ich als Theoretikerin meine, wenn ich ‘Theorie’ sage/schreibe (Johanna Schaffer, Kassel, 14.03.2021)

Ich stelle im Folgenden genauer dar, was ich mit ‘Theorie’ meine, um dem oftmals eher losen, wenn nicht sorglosen Umgang mit dem Begriff ‘Theorie’, der mir an deutschsprachigen Kunsthochschulen begegnet, mit einem präziseren, aber auch engeren Konzept zu begegnen. Denn mir fällt auf, dass  Praktiken in künstlerischen Studiengängen, sobald sie mit Sprechen und Schreiben zu tun haben,  oft ‘Theorie’ genannt werden. So ist die Geschichte der Comics, der Illustration, des Grafikdesigns, der Fotografie, des Films für mich als Theoretikerin eben nicht die Theorie der Comics oder des Grafikdesigns, sondern die Geschichte der Comics oder des Grafikdesigns etc. Genauso wie Kunstgeschichte ja auch nicht die Theorie der Kunst ist.

Ich als jemand mit einer theoretischen Herkunft unter anderem im Poststrukturalismus meine mit ‘Theorie’ eine spezifische Praxis. Dies ist eine Praxis der Abstraktion, also der Abstandnahme, um Reflexion zu ermöglichen und zu machen; und zweitens ist das eine Praxis der begrifflichen Arbeit beziehungsweise der Arbeit an Begriffen. (Fn1) Begriffe sind die Poetik der Theorie (Fn2), aber auch ihre Werkzeuge. Deswegen ist es für eine Theoretikerin eben nicht egal, wie man welche Wörter verwendet. Es ist in einem theoretischen Zusammenhang, einem Zusammenhang der theoretischen Praxis eben nicht egal, was gemeint ist, wenn man ‚theoretisch’ sagt, und was genau nicht gemeint ist. Reflexion heißt übrigens auch, dass die Effekte der eigenen Praxis mit bedacht und thematisiert werden. (Fn3) Ein theoretischer Text gibt auch Auskunft über seine eigene Praxis, also wie der Text etwas macht, und darüber, was die Effekte der in ihm gewählten Begriffe sind – Effekte in Bezug auf größere (gesellschaftliche) Zusammenhänge ebenso wie Effekte in Bezug auf den Text selbst. Das heisst: ein theoretischer Text performt gezielt spezifische Effekte – sonst ist‘s halt kein theoretischer Text (oder ein handwerklich schlechter). Zudem, wie der Philosoph Jean-Francois Lyotard schreibt, es gibt in einem theoretischen Zusammenhang „zumindest Figuren oder Tricks der Strenge und der Exaktheit“.

Schließlich: Theorie ist auch mit dem Beruf des Theorie-Machens bzw. Theoretikerin-Seins verbunden, und das heißt zuallererst: Publizieren und öffentlich als Theoretikerin sprechen. Zudem: Als Theoretikerin in der Lehre d.h. beim Unterrichten geht es für mich auch darum, am Rande des Verstehens zu spielen. Theorie ist anstrengend, ist Denk-Gymnastik, ist sich wo hin zu trauen im Denken, wo es auch riskant ist, wo Unvertrautes, bisher noch nie Gedachtes ist – aber das mit großer formaler Genauigkeit zu tun. Es muss akkurat sein, hat Ludwig von Friedebug, ein wichtiger antifaschistischer Soziologe und Bildungsreformer gesagt (so erzählt Alex Demirović). Und weil ich auch leidenschaftliche Lehrende / Vermittlerin bin, ist die Aufgabe, die ich mir selbst stelle: genau das, genau diese Dimension zugänglich zu machen. Aber dass das sehr herausfordernd ist – das kann Euch niemand abnehmen.

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[1] „Man produziert Beweisstücke, man plädiert. Die Theoretiker*in ist ein*e Advokat*in, es gibt eine Rhetorik des Wissensdiskurses. Ihr ökonomisches Prinzip ist der Effekt der Überzeugung, der im Unterschied zum Effekt der Überredung (der alte Peitho) nicht so geführt werden kann, dass die Affekthaltung der Empfänger*in „direkt“ bearbeitet wird. Um Überzeugung zu erschleichen, muß die Theoretiker*in-Advokat*in, um mit ihm zu beginnen, ihren Diskurs gewissen Eigentümlichkeiten unterwerfen, insbesondere den formellen Merkmalen der inneren Konsistenz und der Vollständikgeit bezüglich des Referenzbereichs. Es gibt also zumindest Figuren oder Tricks der Strenge und der Exaktheit.“ Jean-Francois Lyotard (1979/1977), Apathie in der Theorie, Übers. a. d. Französischen Clemens-Carl Haerle, Lothar Kurzawa. Berlin: Merve, S. 81 (Übersetzung leicht verändert, js)

[2] “Benjamin once wrote that terminology is the proper element of thought and that, for every philosopher, the terminus in itself encloses the nucleus of his system. In Latin, terminus means “limit, border.” It was originally the name of a divinity who was still represented in the classical age as an anthropomorphous figure whose body gradually faded away into a dot firmly planted on the ground.” Giorgio Agamben (1999), Potentialities, Collected Essays in Philosophy, Übers. Daniel Heller-Roazen, Stanford: Stanford Uni Press, S. 207, und, derselbe an anderer Stelle: “Terminological questions are important in philosophy. As a philosopher for whom I have the greatest respect once said, terminology is the poetic moment of thought.”, Agamben, ‘What is an Apparatus’ and Other Essays, Übers. a. d. Italienischen David Kishik, Stefan Pedatella

[3] In our time, this task was decisively reformulated in a different way by Alexandre Kojeve when he defined philosophy as the discourse “that can speak of everything, on the condition that it also speak of the fact [hat it does so.” Agamben, Potentialities, Collected Essays in Philosophy S. 63

 

 

yellow_greenTHEORY AND PRACTICE OF VISUAL COMMUNICATION

We define the working space Theory and Practice of Visual Communications as a platform opened up by interrogating the tensions between theoretical and aesthetic-material practices. This transdisciplinary project begins by utilizing the boundaries between ‘theory and practice’ – and by undermining them. It depends on emphasizing and on disputing their differences, and it does all of this in order to support the students at the Kunsthochschule Kassel, especially those studying Visual Communications, as cultural producers and authors, to experiment and to research, and to do this in a transdisciplinary way between texts and visualities/aesthetic materialities. It encourages them to take an interest both in the material/physical/corporeal/spatial as well as in the cultural context of their projects, in order to develop challenging aesthetics and analytics.

For the space between Theory and Practice of Visual Communication this means emphasizing open-ended experimentation; encouraging processes of learning and unlearning; paying attention to what a specific material can and cannot do, and what is lost with the choice of one tool and gained with the use of another; and generally, encouraging the curiosity of the researcher. It also entails teaching writing and text production, supporting the discursive abilities of the students, strengthening their idiosyncrasies as cultural producers and as authors, and working not only collaboratively but also collectively.

A basic task of the platform Theory and Practice of Visual Communication is to discuss analytical and critical tools provided by theoretical texts and visual productions. The field of visual and textual analysis and criticism that the platform refers to emerged at the intersection of various strands of thought: contemporary aesthetic theory, theories of hegemony, Marxist and socialist theories, postcolonial, feminist, queer, black, transcultural and antiracist images and image critiques, psychoanalytical theories, film theory, cultural studies and visual culture.